Offener Brief an den Bundeskanzler

Erschienen im “Tagesspiegel” vom 08. Dezember 2023

Bundeskanzler Olaf Scholz:
Schützen Sie Europa.
Stoppen Sie den Moskauer Brandstifter.
Liefern Sie der Ukraine alle benötigten Waffen.

Jetzt.

English Version

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

wir haben den Eindruck, dass Ihre Politik dazu beiträgt, unser Land und ganz Europa einer sehr ernsten Gefahr auszusetzen: der Gefahr, von der Russischen Föderation destabilisiert und dauerhaft entdemokratisiert zu werden.

Die im Mai d.J. von der Ukraine dringend erbetene Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern haben Sie gegen den Rat erfahrener Militärexperten und einer entgegenstehenden Praxis unserer wichtigsten Verbündeten zum Trotz abgelehnt. Die ukrainische Gegenoffensive steckt inzwischen in einer schwierigen Phase. Russland ist mit Hilfe von Terrorregimen wie Iran und Nordkorea augenscheinlich in der Lage, seine Streitkräfte kontinuierlich mit Waffen und Munition in großer Menge zu versorgen.

Doch längst geht es nicht mehr „nur“ um die Ukraine. Längst ist augenfällig geworden, dass die Zahl der Brandherde seit etwa 15 Jahren in einem östlichen Halbkreis rund um Europa wächst. Und dass es auch nicht den kleinsten Zweifel gibt, wer der Brandstifter ist:

  • 2008 marschieren russische Truppen in Georgien ein und besetzen Teile des Landes.
  • 2011 beginnt der Bürgerkrieg in Syrien, in den Russland auf Seiten des Assad-Regimes mit barbarischer Grausamkeit eingreift.
  • 2014 annektiert Russland die Krim und beginnt den Krieg im Donbass.
  • Seit Jahren schleust Russland über das ihm hörige Lukaschenko-Regime Migranten in die Europäische Union, um Konflikte zwischen Mitgliedstaaten anzuheizen und europakritische Parteienzu stärken.
  • 2022 überfällt Russland dann die gesamte Ukraine und begeht in unvorstellbarem Maße Verbre-chen an der Zivilbevölkerung. Seitdem wird Vladimir Putin mit internationalem Haftbefehl gesucht.
  • Seit geraumer Zeit werden mehrere Länder der Sahelzone – Mali, Burkina Faso, zuletzt Niger –von pro-russischen Putschen erschüttert.

Angesichts dieser Aufzählung fragen wir uns: Welcher Beweismittel bedarf es noch, bis Ihre Bundesregierung öffentlich zugibt, dass die Russische Föderation systematisch um das freie Europa herum Feuer legt?

Und die Lage ist in Wahrheit noch viel ernster. Denn die Bedrohung ist keinesfalls nur militärisch. Desinformation, Wahlmanipulation, Hacker-Angriffe, Finanzierung rechtsextremer Parteien, Anstiftung von Unruhen, Aussendung finanzstarker Oligarchen, die wichtige westliche Wirtschaftsgüter aufkaufen: Es gibt fast keine Methode der Destabilisierung, derer sich das Putin-Regime nicht bedient. Die Fantasie reicht vermutlich nicht aus, um sich das ganze destruktive Arsenal russischer „Außenpolitik“ vorzustellen.

Herr Bundeskanzler, bitte machen Sie sich klar:

Wir haben nicht mehr viel Zeit. Konsequenzen aus der viel zu lange wohlwollenden Haltung der deutschen Politik – auch Ihrer Partei – gegenüber Russland können nicht erst nach Jahren gezogen werden. Sie werden schon jetzt einen Schritt weitergehen müssen. Denn eine lediglich punktuelle Bearbeitung der genannten Konfliktherde wird der Stärke des russischen Angriffs nicht gerecht. Russland führt einen Kulturkampf gegen den freien demokratischen Westen. Dieser Kampf wird an allen Orten und mit allen Mitteln geführt. Und in diesem Kulturkampf müssen wir uns behaupten, wenn wir unsere Freiheit nicht verlieren wollen!

Denn was in das öffentliche Bewusstsein bislang kaum eingedrungen ist, sind die verheerenden politischen Folgen westlicher Schwäche. Sollte es Russland gelingen, den Ring aus Krieg und Terror um Europa noch enger zu ziehen und weitere Flüchtlingsströme zu provozieren, droht eine gefährliche Rückkopplungsschleife: Viele Menschen werden sich dann aus Angst vor unkontrollierter Migration rechtsextremen Parteien zuwenden – die wiederum mit Russland sympathisieren. Der Kreis würde sich schließen, unsere Freiheit wäre verloren.

Daher fordern wir Sie, Herr Bundeskanzler, heute eindringlich auf:

  • Stellen Sie öffentlich fest, dass die Russische Föderation einen Kulturkampf gegen den freien Westen begonnen hat, in dem wir unsere Freiheit mit allen gebotenen, notfalls auch unpopulären Mitteln verteidigen müssen und werden.
  • Unternehmen Sie alle Anstrengungen, um die (oder wenigstens einige) Mitgliedstaaten der Europäischen Union und vor allem Frankreich zu einer abgestimmten Verteidigungs- und Rüstungspolitik zu bewegen.
  • Beliefern Sie die Ukraine zügig mit den von ihr angeforderten Waffensystemen, insbesondere Taurus-Marschflugkörpern.

Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass wir die auch für unsere Freiheit kämpfenden Ukrainer nicht noch monatelang hinhalten. Denn die vollständige Befreiung der Ukraine ist der entscheidende Schlüssel, um Putins Einkreisungsstrategie wirkungsvoll zu stoppen.

Gehen Sie voran, Herr Bundeskanzler. Jetzt.



Kommentare

93 Antworten zu „Offener Brief an den Bundeskanzler“

  1. D.H.

    Vielleicht liefert er ja, wenn wir anfangen die Russen hier zubekämpfen, gibt ja zuviele davon in D.

  2. Alexander

    Mehr Waffen für die Ukraine,
    bessere Kontrolle über Exporte in die Länder der ehemaligen Sowjetunion und in die Türkei!

  3. Mag. Martin P. Galler

    Es würde reichen, kurzfristig die Ukraine in ihrem Freiheitskampf entsprechend zu unterstützen – die Friedensdividende wäre gewaltig.

  4. Maciek Niemczyk

    Die angeblich so große Unterstützung wirkt eher wie Hinhaltetaktik.

    Wenn man gleich die ganze Liste ohne wenn und aber abgearbeitet hätte, wären die anderen Ausgaben (die den Löwenanteil darstellen) obsolet

    Durch das Verzögern (aka Besonnenheit) hilft man eher den Russen.
    Und nein, her Kanzler, es ist nicht nur Putins Krieg und es geht nicht nur um Landraub!

    Fazit: Deutschland ist der zweitgrößte humanitäre Unterstützer der Ukraine, aber auch einer der größten militärischen Unterstützer Russlands!

  5. Sabine Schmidt

    Ich stimme Ihnen zu.Unsere Politik verzögert oder verhindert gar einen Sieg der Ukraine.Unser führungsschwacher Kanzler sorgt so dafür,dass D und die EU, Nato noch mehr an Einfluss verlieren,Putin Europa dominieren kann

  6. Christophorus Mosko

    Als in West-Berlin geborener und den kalten Krieg dort erlebt Habender
    kann man dem russischen Diktator nur mit aller Macht entgegen treten.
    Ich habe kein Verständnis dafür, dass unser Bundeskanzler in seiner
    SPD-typischen Kritiklosigkeit gegenüber dem russischen Imperialismus die
    Lieferung der Taurus-Systeme nicht zustimmt. Er macht sich damit am Tod
    vieler Ukrainer mitschuldig.

  7. Sven

    Man muss kein großer Schachspieler sein, um zu erkennen, dass der ruzzische Hunger nach Land und Macht nie gestillt sein wird. Alles andere als eine ruzzische Niederlage wird nur zu Kriegspausen, aber nicht zum Frieden führen. #Putin ist nur die Spitze vom Eisberg

    1. Sabine Schmidt

      Ich stimme Ihnen zu Putin,besonders im Verein mit Trump will ganz Europa und mehr dominieren D in seiner Zoegerlichkeit ist nicht vorbereitet und denkt klein klein.Schlimm.

  8. Heide Kasten Husmann

    Voll und ganz meine Meinung : Herr Bundeskanzler, schützen Sie uns und Europa, indem Sie eindeutig mehr an die Ukraine liefern, so wie es von ihr gefordert wird!

    1. Sabine Schmidt

      Es muss viel mehr an die Ukraine geliefert werden,vor allem Flugabwehr,Taurus und Munition,sonst ist ganz Europa am Ende

  9. Pavel Bialiayeu

    Putin muss gestoppt werden.

  10. Anna

    Wenn wir keine Taurus liefern, wird garantiert der dritte Weltkrieg ausbrechen

  11. Lisa

    Wenn wir nicht jetzt sofort handeln, müssen unsere Leute gegen Russland kämpfen, wir können aber nicht mal 2 Tage durchhalten

  12. 0laf Tomisch

    Unterschrieben und vollste Zustimmung.
    Olaf Tomisch

  13. Marcel Braun

    Ich bin weder eine bekannte Persönlichkeit, noch ein Experte, aber hier trotzdem meine Bescheidene (mehr oder weniger (un)zusammenhängende Meinung):
    Ukraine muss diesen Krieg gewinnen, die Demokratie muss gewinnen. Alleine schon aus unserer Geschichte ergibt sich eine gewisse Verantwortung. Ein Zeichen, dass Demokratien wehrhaft sind, dass sich Imperialismus nicht mehr lohnt. Eine Warnung nicht nur an Russland. Als Beispiel: Wenn China sieht, dass die freie Welt sich wehren zu weiß, wird es auch nicht Taiwan angreifen. Wenn Russland konsequenzenlos Nachbarn überfallen kann, dass ist das ein fatales Zeichen der Schwäche und es wird Nachahmer finden.
    Wenn Ukraine gewinnt, ist das auch nicht uneigennützig für uns: ein starkes neues Mirglied der EU, ein Freund und Handelspartner mit einer starken Armee. Wer weiß, vielleicht fällt unsere bisherige starke Armee nämlich bald weg, je nachdem wie die Wahlen in den USA ausgehen.
    Wir sind die viertstärkste Volkswirtschaft der Welt, sind aber nicht in der Lage ein paar Waffen zur Selbstverteidigung zu liefern? Lächerlich! Wir bauen einige der besten Waffen der Welt, aber für was, um soe in Vitrinen zu stellen? Es ist erbärmlich!
    (Dabei zuzugucken wie Menschen von einer gewaltigen Armee angegriffen und abgeschlachtet werden, ist übrigens kein Pazifismus sondern unterlassene Hilfeleistung. Ich weiß nicht woher solche absurden Einstellungen kommen, aber wir alle sind in Frieden aufgewachsen und mussten nie in einem solchen Ausmaß für Freiheit und Demokratie kämpfen)

  14. Eileen

    Bitte nicht vergessen, dass Putin als Förderer der Feinde Israels auch lange vor dem Angriff der Hamas gewusst hat, was am 07. Oktober 2023 geschehen ist.

    „Russland unterstützt Nazis, die unter uns einen Genozid anrichten wollen, und Russland wird dafür bezahlen“, erklärte Amir Weitmann, Führer des liberalen Flügels der israelischen Regierungspartei Likud, vor wenigen Tagen dem russischen Propagandasender RT. Israel werde diesen Krieg gewinnen und dann mit Moskau abrechnen und der Ukraine zum Sieg verhelfen.

  15. Vera Wisseler

    Bitte haltet uns auf dem Laufenden über die Anzahl d. Unterschriften und tragt alle ein,da fehlen viele! Bitte organisiert im neuen Jahr eine Großdemo, denn der Druck von der Straße ist mehr wert als alle offenen Briefe und Petitionen !

  16. kristian kiehling

    „Russland hat in der Vergangenheit vielen Völkern und schließlich der ganzen Welt viel Leid unter anderem deshalb zugefügt, weil es nie genau wusste, wo es anfängt und wo es aufhört.” Václav Havel (1936-2011)

    Ich meine, es fehlt in der deutschen Politik im Bezug auf Russland nach wie vor das Verständnis, womit wir es eigentlich zu tun haben. Das blutrote Imperium wehrt sich seit 1989 mit aller Macht gegen seinen Zerfall. Der Kreml hat den Mauerfall nicht akzeptiert, nicht die Befreiung der baltischen Staaten, nicht die Aufstände in Tschetschenien, noch die Befreiung Georgiens oder der Ukraine. Denn der Kreml betrachtet Europa als seinen Vorgarten und somit als seine unmittelbare Einflussphäre, wie bereits 1999 aus diesem Transcript des Treffens ziwschen den Präsidenten Jeltsin und Clinton in Istanbul deutlich wird:
    https://nsarchive.gwu.edu/document/20592-national-security-archive-doc-06-memorandum
    Damit das Leid endlich ein Ende haben kann, ist es für alle Europäer überebenswichtig, dass die tapferen Ukrainerinnen und Ukrainer den Russen beibringen, wo ihre Grenzen sind und wo Russland endet. Wie viele Briefe und Aufrufe braucht es noch, um diesen traumwandelnden Kanzler und seine Partei endlich aus ihrem kollektiven Schlaf der Vernunft zu erwecken?

  17. Walter Schmidt

    Slava Ukrainii.

  18. Anne Schmitz

    Schicken Sie endlich den Taurus. Oder stellen Sie die Vertrauensfrage.
    Wieder haben Führung bestellt, liefern Sie endlich!

  19. kalle anka

    Scholz ist hoffnungslos. Keine Phantasie, keine Initiative, aber Selbstüberschätzung und Trägheit des Herzens.

    Der Mann ist für Argumente überhaupt nicht erreichbar — aber vielleicht rafft sich wenigstens der Rest der Regierung endlich auf …

  20. Vielen Dank für diesen überfälligen offenen Brief! Hoffen wir auf eine schnelle positive Wirkung!

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